ENDLICH KLAVIERSPIELEN!

von Sina Kleinedler

erschienen in crescendo 11/2013

Es ist der Traum vieler Erwachsener: endlich ein Instrument spielen zu können. Aber ist es da nicht schon viel zu spät? Pianist Jens Schlichting sagt nein, und bietet Schnupperkurse in schönem Umfeld. Unsere Mitarbeiterin Sina Kleinedler reiste hin und übte mit.

Eigentlich möchte ich schon lange Klavier spielen lernen. Allerdings fehlte dafür immer der richtige Zeitpunkt, das passende Instrument und zwischen Cello, Hobby-Quartett, Abitur und Aufnahmeprüfung fehlte dann auch noch die Zeit. Umso mehr freue ich mich auf meinen „Selbstversuch“ beim Schnupper-Wochenendkurs in Bayreuth. Schon im Zug höre ich zur Einstimmung Rubinsteins Einspielung der Chopin Nocturnes.

Der Kurs findet im Steingraeber-Haus in Bayreuth statt, einer berühmten Klaviermanufaktur. Vorsichtig, beinahe andächtig schleichen die ersten Teilnehmer im Erdgeschoss durch die kleinen, hellen Räume mit den wertvollen Instrumenten. Noch beeindruckender ist der prunkvolle Rokokosaal, in dem die Begrüßung stattfindet. In der Mitte des aufwändig mit Stuck verzierten Raumes steht der originale Liszt-Flügel und auch in den beidseitig angrenzenden Räumen befinden sich besondere Instrumente: Links, in einem dunklen Raum mit edler brauner Tapete und altem Tigerfell, steht der Steingraeber, der einmal Richard Wagner gehörte. Der rechte Raum ist heller eingerichtet, die Fenster sind von roten Samtvorhängen gesäumt und ein großer Kristallleuchter wirft sein Licht auf Steingraebers „Opus 1“, das erste Meisterwerk des Klavierbauers. Der Kursleiter Jens Schlichting stellt sich vor und spielt alle drei Instrumente kurz an. Faszinierend, wie unterschiedlich sie klingen.

Im „Unterrichtsraum“, der sich im Nebengebäude befindet, sitzen wir schließlich im Halbkreis um einen der sechs Konzertflügel herum. Bevor wir mit der Vorstellungsrunde beginnen, einigen wir uns auf ein allgemeines „Du“. Es ist spannend, was die Teilnehmer dazu bewegt hat sich zu dem „Schnupperkurs“ anzumelden: Da ist Bettina, der als Kind der Wunsch Klavier zu lernen abgeschlagen wurde, sodass sie über die Gitarre zum Schlagzeug kam. Jetzt hat sie selbst eine klavierspielende Tochter und der Wunsch ist noch stärker geworden. Da ist Jimmy, der im letzten Jahr während des Kurses am Steingraeber-Haus vorbeilief, „Geklimper“ hörte und spontan dachte: „Das würde mir auch gefallen!“ Und Brigitte, die an der Uni nur noch den Gitarrenkurs ausprobieren konnte, weil der Einsteiger-Kurs für Klavier bereits besetzt war. Dirk hat den Kurs von seiner Frau – einer Musikerin – geschenkt bekommen. Da jetzt auch die beiden Kinder mit dem Instrumentalspiel beginnen, wird es für ihn langsam Zeit, ein wenig „nachzuholen“.

Auch Jens Schlichting verrät seine musikalische Geschichte: Er kommt aus einer „vernünftigen“ Familie „ganz ohne Künstler“, erzählt er mit einem Schmunzeln. Als er in der dritten Klasse war, hatte seine Musiklehrerin einen Trompeter in den Unterricht eingeladen und jeder durfte einmal probieren, dem Instrument einen Ton zu entlocken. „Die meisten dachten wohl,  es funktioniert wie eine Blockflöte, aber bei mir hat es geklappt. Eine Woche vorher hatte mich ein Freund meiner Eltern, ein passionierter Jäger, das Horn ausprobieren lassen. Natürlich waren alle beeindruckt. Daraufhin bin ich nach Hause gerannt und habe gerufen ‚Mama, ich bin musikalisch, ich muss Trompete lernen!‘ Sie war jedoch wenig überzeugt.“

Die Nachbarin der Großmutter schenkte der Familie schließlich ein Klavier, weil sie so traurig war, dass niemand mehr darauf spielte. Auf die Frage der Mutter, ob er denn nun Klavier lernen wolle, antwortete er: „Ja, wenn das so etwas Ähnliches ist wie Trompete, dann mache ich das.“ Somit war der Grundstein für seine Karriere als Musiker gelegt.

Schon als Schüler begann Jens Schlichting zu unterrichten, um das Taschengeld aufzubessern. Auch Erwachsene kamen zum Unterricht.

Als er beginnt, sein Unterrichtskonzept vorzustellen, fällt schnell auf, dass er sich seit einigen Jahren intensiv mit der Lernpsychologie beschäftigt, die ihn nicht nur hinsichtlich des eigenen Lernprozesses fasziniert. Erst einmal räumt er mit den gängigen Stereotypen und Zweifeln auf: „Kinder lernen nicht leichter, sie lernen anders!“. Und: Die klassische Methode das Klavierspiels nur über das Notenlernen zu erarbeiten ist – als einzelner Weg – denkbar ungünstig. „Inzwischen weiß man, dass es in den Kulturen, die Musik ohne schriftliche Symbole
vermitteln, keinen Begriff für ‚unmusikalisch‘ gibt, weil die Vorstellung dort einfach nicht existiert. Besonders gefällt mir der Satz: ‚Es ist wichtig, dass man sich schon bevor man etwas kann, vorstellen kann, dass man es kann.‘“ Auch in seiner eigenen Arbeit hat Jens Schlichting herausgefunden, dass es beim Klavierspielen zunächst nur um die Beschäftigung mit sich selbst und mit der Musik gehen sollte und dass dieser Prozess alleine schon viel wertvoller ist als das Endresultat. „Ich kann euch nicht versprechen, dass ihr am Sonntag das
und das Stück soundso gut spielen könnt, aber wenn ihr ein Klavier zuhause habt, werdet ihr nicht mehr ratlos davor stehen. Ihr werdet voller Ideen sein und dabei die schönste Form des Lernens erleben: Lernen, ohne zu merken, dass man gerade lernt“. Er sagt das und spätestens jetzt verspürt jeder ein Kribbeln in den Fingern. Endlich Klavierspielen! Aber welches Stück – und vor allem wie? Wir beginnen mit einer kleinen Rhythmusübung zum Warmwerden. Danach zeigt uns Jens, wie wir unsere ideale Haltung am Klavier finden und „die Glocke“, eine Übung, die dabei helfen soll, ein erstes Gespür für eine angenehme und natürliche Handhaltung zu bekommen.

Am Ende des ersten Tages steht die Improvisation. Nacheinander sollen wir an den Flügel im Halbkreis gehen und „einfach spielen“. Die einzige Regel: es darf nur mit der rechten Hand auf den weißen Tasten gespielt werden. Jens sitzt an einem zweiten Flügel und spielt eine improvisierte Begleitung. Es berührt mich, zu hören und zu sehen, wie sich die kleinsten Gehversuche durch die einfühlsame Begleitung zu musikalischen Ideen spinnen und wie glücklich die Spielenden sind.

Als ich schließlich an der Reihe bin, bin ich dennoch etwas unsicher. Ich setze mich auf den mit Samt bezogenen Hocker und suche meine richtige Position. Dann schlage ich das c an. Ein dissonanter Klang. Aber halt: „Bei der Improvisation gibt es keine falschen Töne, es gibt nur überraschende“, erinnere ich mich und beginne meine Finger einfach über die Tasten laufen zu lassen. Ich höre, wie sich kleine Motive in der Begleitung leicht variiert wiederspiegeln, ein tolles Gefühl. Ich werde mutiger, Melodie und Begleitung fügen sich mehr und mehr zu einem Ganzen. Manchmal scheint Jens schon vorauszuahnen, was als nächstes passiert – dabei weiß ich es doch selbst noch gar nicht.

Es ist erstaunlich, wie viel individuelle Persönlichkeit in diesen teils wenigen Minuten zu hören ist. Manuela findet Gefallen an großen Sprüngen und lauten Einwürfen, während Brigitte ihre Finger zaghaft von Taste zu Taste wandern lässt. Aber obwohl jeder zu demselben kleinen Motiv in der Begleitung beginnen darf, ähneln sich die Improvisationen kaum und es ist unheimlich spannend, den Ideen – oder vielmehr Intuitionen – zu lauschen. Es scheint sich zu bestätigen, was Jens zuvor gesagt hat: „Wenn ich Erwachsene vor mir habe, dann habe ich keine Anfänger vor mir. Ihr alle lebt seit Jahren und Jahrzehnten mit Musik. Ihr wisst was euch gefällt und ihr habt Melodien im Kopf, die ihr auf Anhieb abspielen könnt. Es ist schon etwas da!“ Als wir uns schließlich verabschieden, sehe ich viele leuchtende Augen und habe das Gefühl, dass einige noch die ganze Nacht durchspielen könnten.

Der nächste Tag ist abwechslungsreich gestaltet: In Vierergruppen erarbeiten wir kleine Stücke nach der „Flohwalzermethode“: Jens spielt vor, zeigt die Fingersätze, wir imitieren ganz ohne Noten. „Den Flohwalzer können in der Regel nur Leute spielen, die nicht Klavier gelernt haben und die haben es wiederum gelernt von jemandem, der auch nicht Klavier spielt. Die Noten dazu sehen abenteuerlich aus!“ Ich bin in der „Chopin-Gruppe“, zwar spielen wir nicht die Nocturnes, aber eine Mazurka in vereinfachter Bearbeitung. In jeder der fünf Gruppenstunden kommt ein kleiner Teil hinzu. Wenn wir gerade nicht im Unterricht sind, können wir üben gehen. Dazu dürfen wir uns tatsächlich an jedes Instrument in den Ausstellungsräumen setzen. Die Entscheidung ist dabei ein echtes Luxusproblem.

Der Gruppenunterricht nimmt die letzten „Berührungsängste“ mit der teils gefürchteten Theorie. Beim Tonleiterspielen eifern die anderen Gruppenmitglieder mit: „Halbton! Los, das schaffst du!“ und als Dirk „Sur le pont d‘Avignon“ in einer anderen Tonart spielen soll, summt Christa neben mir begeistert mit. Am Abend bekommen wir die Gelegenheit, unseren Dozenten in einem besonderen Konzert zu erleben: Jens Schlichting improvisiert zu einem Wagner-Stummfilm aus dem Jahre 1913. In einigen Momenten verschmilzt die Musik so sehr mit den Bildern, dass man meinen könnte, sie entspränge direkt dem Geschehen der Schwarz-Weiß-Biographie. Sonntags lernen wir den Rest unserer Stücke und beschließen, das spannende Wochenende mit einem kleinen Konzert und einer „Abschiedsimprovisation“. Es ist verblüffend zu sehen, welche Unterschiede sich nach den wenigen Tagen zeigen. Fast alle sind sich sicher: Es soll weitergehen mit dem Klavierspiel. Auch ich bin noch entschlossener, nun endlich Unterricht zu nehmen.

„Endlich Klavierspielen“ ist eigentlich mehr als ein Schnupperkurs, denn das anfangs gegebene Versprechen wird gehalten: Am Ende der drei Tage ist man voller Ideen zum Klavierspielen und auch mit musikalischen Vorkenntnissen wird es nicht langweilig, denn Schlichtings Ansätze und Überlegungen zum Lernen, zum Üben und zum „Erlebnis Musik“ als Ganzes sind so interessant, dass es sich einfach lohnt, genau zuzuhören.

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